linear

Erst wird es dunkel. Und dann wird es wieder hell. Und wieder dunkel, wieder hell. Das war schon immer so. Wenn man sich auf etwas verlassen konnte, dann darauf, dass es erst dunkel; und dann wieder hell wird. So richtig verlassen, nicht wie auf Papa, der Mutter nicht erzählen darf, dass man ein kleinwenig vom Kuchen probiert hat. Nein, so richtig verlassen. Wenn es später einmal etwas nicht mehr in Ordnung sein sollte, es gäbe immer noch einen nächsten Morgen. Einen neuen Tag. Darauf kann man vertrauen. Mitten in der Nacht war sie aufgewacht. Sie drehte sich um und schlief wieder ein. Sie würde sich morgen nicht mehr daran erinnern können. Als sie schließlich zum vierten Mal aufgewacht war, und wirklich gar nicht mehr einschlafen konnte, schlich sie sich die Treppe hinunter zur Küche, um etwas zu trinken. Sie drehte den Wasserhahn auf, und wieder zu, und wieder auf, wieder zu. Nichts. Also ging sie zum Kühlschrank. Sie erschrak. Dort stand ihr Vater. Er bewegte sich nicht. Sie ging näher. Er atmete nicht. Sie berührte seine Hand. Nichts. Sie knuffte ihm in den Bauch.

  • Was machst du denn hier?
  • Ich konnte nicht schlafen.
  • Na komm, trink etwas. Er nahm ein Glas und stellte es unter den Wasserhahn.
  • Ähm, Papa, der Wasserhahn… Er reichte ihr das volle Glas.
  • Ja?
  • Ach nichts. Gute Nacht, Papa. Sie ging wieder in ihr Zimmer und legte sich hin. Am nächsten Morgen wurde sie früh von der Mutter geweckt.
  • Aufstehen, Schlafmütze. So gut hatte sie lange nicht mehr geschlafen.

# | 14.1.2003, 20:02 | features

apparel & accessories

Jetzt neu beim sympathischen Weltkonzern von nebenan: Der Apparel & Accessories Store. Lässige Latzhosen von Oshkosh und unverfängliche Unterwäsche von GAP machen die Online-Shoppingstour zum Erlebnis. Außerdem erscheint bei einigen Büchern neben den üblichen Empfehlungen irgendwie ähnlicher Bücher ein neuer Absatz: 'Customers who wear clothes also shop for'. Also in etwa 'Kunden die Kleidung tragen haben sich auch hier nach umgesehen.' Sehr interessant, anscheinend tragen einige Kunden auch keine Kleidung. Was die dann wohl in der DVD- und Video-Ecke suchen? Putzige Tierdokumentationen? Egal, jedenfalls kann nun die richtige Kleidung zum Buch gekauft werden. Passend zum Sachbuch über das Dritte Reich etwa schwarze Lederhandschuhe und dunkle Mäntel. Leider wurde dort drüben vor einiger Zeit der Verkauf von Waffen über Mail-Order verboten. So entgeht dem ambitionierten Cineasten beim Kauf des (Anti-) Kriegsdramas 'Black Hawk Down' das Angebot einer M240G Machine Gun. Mit 20% Weihnachtsrabatt.

# | 20.11.2002, 20:14 | features

post an wagner

Lieber Franz Josef Wagner

Ihre "Bild" lesen täglich viele Millionen Menschen. Das hört sich nach Macht, Kampagnen, Meinungsdiktat an. Aber da in unserem Land jeder lesen und sehen kann, was er will, dokumentieren Ihre Rekordzahlen Volkes Wille. Horror, Terror, abstürzende Flugzeuge, Seuchen, Massaker, Arbeitslose und Boxenluder statt Familiensofa.

Wir haben eine unsägliches Verlangen nach dem Dreck. Da gibt es das 'perverse Geständnis von Mord-Monster Schmökel'. Wie bewegend. Und Anja (25) findet nur Spaghetti Bolognese besser als Sex. Es gibt keine trivialen Dinge, es gibt nur intellektuelle Dummköpfe, die darüber lachen.

Lieber Franz Josef Wagner, Ihre Kolumnen sind Schläge ins Gesicht. Wir alle haben Angst, was aus unserer Welt wird.

Bei Ihnen aber können wir uns sicher sein. Manche wünschen sich bessere Menschen.

Zum Glück haben wir sie.

Nur wenige entfernt von der Vorlage auf bild.de. Zum Textverständnis unbedingt lesen. Foto von mks.

# | 11.11.2002, 14:44 | features

alfred döblin verzweifelt

'Es sind Berichte von völliger Wahrheit, ganz und gar nicht wie erfunden, zwar sonderbar durcheinander gemischt, aber von einem völlig wahren, sehr realen Zentrum geordnet. Es haben einige von Kafkas Romanen gesagt: sie hatten die Art von Träumen - und man kann dem zustimmen. Aber was ist denn die Art der Träume? Ihr ungezwungener, uns jederzeit ganz einlauchtender, transparenter Ablauf, unser Gefühl und Wissen um die tiefe Richtigkeit dieser ablaufenden Dinge, und das Gefühl, dass diese Dinge uns sehr viel angehen.' Zitiert nach Klaus Wagenbach "Franz Kafka". Döblin verzweifelt am Genie Kafkas und flüchtet sich in leichte Prosa. Auf den ersten Blick verlockend schön, auf den zweiten geradezu sachlich analysiert. Gerade so bequem, dass man sich ausruhen möchte. Leider liegen noch etliche kg Sekundärliteratur vor mir. 'Dem Hilfesuchenden bleiben [in Anbetracht von rund 11000 Expertenmeinungen] als Fazit nur noch Zweifel', beschreibt es Michael Müller in der Reclam-Interpretation. Der Proceß beginnt.

# | 5.11.2002, 20:08 | features

rhetorische fragen gegen rechts

Neulich in Schweden: -Where are you from? -Germany... -Yeah, Germany! Great beer and.. Rammstein! Links ist rechts und umgekehrt Eine faschistoid anmutende Bühnenshow, die Leni Riefenstahl vor Neid erblassen lassen würde, und Texte, die dem drohenden NPD zu trotzen scheinen: Rammstein deshalb aber für nationalistisch zu halten wäre einfach dumm. Sagt eines der Bandmitglieder. Und richtig, wer bisher bei den netten Familienvätern aus Berlin eine latent rechte Gesinnung vermutete, mußte bisher einen Angriff auf die Freiheit der Kunst eingestehen. Dann kam ein neues Album. 'Mutter'. Marschierende Soldaten. Ein schneller Rhythmus. Frenetischer Menschenjubel. Und: Das Herz schlägt Links. Links wzo drei vier. Wie und wo genau das Herz nun schlägt, ideologisch oder biologisch, das sei mal dahingestellt. Sicher ist nur: Die Rammsteiner wissen es selbst nicht so genau. Sagen sie jedenfalls so. Was sie aber wissen ist, dass bestimmte Begriffe und Stilmittel - in diesem Fall Propagandawerk aus dem Dritten Reich - heute Unbehagen hervorrufen. Martialistischer Rock und Heavy Metal scheinen den sechs ehemaligen Ost-Punkern jedenfalls die richtige Verpackung für ihre lyrische Verarbeitung des deutschen Traumas. Die Auferstehung naiver Verse auf Volk, Vaterland und Verliebte wird gleich darauf mit gigantischen pyrotechnischen Effekten und dunkel-düsteren Videos gefeiert. Sie seien Künstler. Und wenn das Publikum auch mal Glatze trägt - mit braunen Nazihorden haben die naiven Rocler nicht viel am Hut. Auf einem Konzert in Amerika wurde ein Arm-reckender Fan schnell des Geländes verwiesen. Man sei da ziemlich rigoros. Die Medien hätten Schuld, die würden immer alles mißverstehen, wo es doch eigentlich gar nichts mißzuverstehen gäbe. Häh? Jetzt also doch Deutschtümmelei? Pro CD seien es außerdem nur zwei bis drei Lieder mit etwas merkwürdigen Texten. Ist das ein Geständnis? Zur Aufklärung tragen die Jungs in ihren Interviews nicht viel bei. Denn: Man solle die Teste nicht so eindimensional sehen. Was denn jetzt? Erst wird überinterpretiert, dann nach zuviel Tiefgang gesucht?

# | 5.10.2002, 18:15 | features