Südfrankreich im Herbst (rev.)
Dangerous – und das verstehen selbst wir das Latein und Spanisch vorziehende Französisch-Verweigerer – seien die Leute, die hinter der Müllverbrennungsanlage campen. Es ist dunkel, wir sind in großer Hitze vom Aéroport Pau Pyrénées ins Industriegebiet gelaufen, wir suchen einen Platz zum schlafen. Wir sind zu acht, wir sind mit einem schwarzen Baumwollzelt ohne Boden und mit Rauchloch in der Decke auf Fahrt in Südfrankreich im Baskenland, und jetzt wollen uns zwei besorgte Müllmänner auf nächtlicher Einsatztour mit Händen und Füssen vorm vermeintlichen Verderben retten und schlagen uns vor, lieber mal in die entgegengesetzte Richtung zu gehen, alles andere sei Selbstmord. Aber wohin? Einen nehmen sie mit auf eine kleine Erkundungstour, vor einem dreckigen See blenden die Scheinwerfer des Müllwagens fremde Personen beim, nun ja, scheißen. Also einen Umweg und durch das Industriegebiet hindurch.
Zwei jagen noch einmal zurück zum Flughafen, die Gitarre wurde in Stansted als Handgepäck deklariert aber von leicht begriffsstutzigen Mitarbeitern in der outsized luggage area einfach mal aufs Band geworfen und abtransportiert, keine Chance, aber das ginge schon in Ordnung. Ging es natürlich nicht. Ging verloren. Während der Rest also unter Palmen unterhalb des Boulevard des Pyrénées wartet, wird die uns nachgeflogene Gitarre mit einigem finanziellen Aufwand gerettet. Mit der Bahn geht es weiter nach Cambo les Bains. Auf dem Bahnhof feiern wir ausgelassen den neuen Jingle der staatlichen Bahn, einer temporeichen Mischung aus Tönen und gesungenem „Dam-Dam-Da-Da!“ – fantastique!
Wir lagern des Nachts neben den Bahngleisen und einem Feld, von dem wir morgens eine Handvoll rote, Chili-ähnliche Schoten ernten. Dann geht es raus aus der Stadt, nach unserem ersten Anstieg machen wir Rast in einer Art Park unter Platanen und groß gewachsenen Eichen. Um den Berg bemerken wir erst einen, bald ein Dutzend riesiger Greifvögel. In Pau waren es noch Soldaten, die in hübscher Regelmäßigkeit und Anzahl aus Militärmaschinen Richtung Autobahn sprangen.
Über ansehnliche Hügel geht es erst ein Stück auf der Wanderroute G8, dann übernachten wir auch schon in einem Tal auf dem Campingplatz einer alten Dame, bei der wir uns den Preis dankenswerter Weise selbst aussuchen können, der Standardtarif mit Mikrowelle und Dusche schien uns unnötig und überzogen. Wir schlagen die Kohte um ein Bett aus Zitronenmelisse auf, ein wunderbarer Duft lässt beanspruchte Füße und damit zusammenhängende Gerüche vergessen. Nachts quieken Schweine wie sterbende Schafe. Ansonsten ruhig. Am nächsten Morgen fährt die alte Dame für uns geschwind in umliegende Dörfer, um für uns Busverbindungen Richtung Meer herauszufinden. Sieht nicht gut aus, in Cambo les Bains würde etwas fahren, aber daher kommen wir, dahin zurück geht nicht, wäre ja langweilig.
Also weiter! Nach Espelette, wo wir mehr über unsere Schoten erfahren: Es handelt sich um Piment, für das Espelette berühmt ist. Die Häuser der Stadt hängen voller Piment, das so in der Sonne trocknet und später zu Pulver und Pasten verarbeitet wird. Frisch essen geht natürlich auch, und so ergänzt es unsere Speisen vorzüglich. Also, scheiße scharf war es, aber gut, denn Nudeln in natriumglutamatfreier Gemüsebrühe können das vertragen. Mit den Piment-Fingern dann auch gleich mal die Augen gerieben. Die Nacht verbringen wir im Schatten eines Chateaus, diesmal ohne unsere Wanderkohte hochzuziehen: Das Wetter ist gut. Die von zu Hause mitgebrachten Hölzer für Kreuz und Mittelstange bleiben am Rucksack. An den Flughäfen gab es mit unserer mobilen Kohte keine Probleme: Mal als einfaches Gepäckstück, mal am Rucksack dran, mal als outsized luggage: Mitgenommen wurden die Stangen immer.
Noch in der Dunkelheit besteigen wir den Schulbus nach Saint Jean de Luz. Niemand im Ort konnte uns etwas über diesen Bus sagen, es gäbe keinen Bus in Espelette, hören wir meist, es findet sich kein Hinweis, doch morgens um halb acht kommt tatsächlich ein Schulbus. Richtung Cambo. Sieben Minuten und eine Straßenecke weiter ein anderer Richtung Meer. Wir bezahlen jeweils den wohl symbolischen Preis von einem Euro und besetzen die Rückbank im noch leeren Bus. Zielstrebig steuert der Fahrer einzelne kleine Personen in dunklen Straßenecken an, der Bus füllt sich, schließlich: Saint Jean de Luz. Um kurz nach zehn stehen wir am Strand und wenig später sind wir auch schon im Atlantik. Seit fünf Stunden auf und der Tag ist nicht halb rum.
Der Preis für eine Übernachtung auf einem der zahlreichen Campingplätze am Strand übersteigt auch bei fallenden Blättern und Temperaturen unsere Schmerzgrenze, mehr als vier Euro pro Person, da machen wir nicht mit. Gehen Richtung Gautharie und finden tatsächlich einen kleinen Strand, an dem wir übernachten können, unbehelligt. Wasser gibt es neben der Dusche, an der sich öfters Surfer waschen: Habt Ihr hier übernachtet?, will einer wissen, als er uns morgens zähneputzend antrifft. Dann sagt er noch, die Wellen seien großartig, stößt einen begeisternden Schrei ob eines kühnen Ritts einer seiner Surferkollegen aus und rennt auch schon gen Wasser. Im Carrefour, der nur eine Stunde weg und nach Wal-Mart das größte Einzelhandelsunternehmen der Welt mit 420.000 Mitarbeitern und einem Umsatz von 88,7 Milliarden Euro und Läden in China, Indonesien und 26 weiteren Ländern, ist, kaufen wir neue Nahrung. Wein, Käse, Wurst in kleinen netten Lädchen schauen wir uns sehr gerne an und schwelgen in Phantasien. 6kg-Schinken für 25 Euro wecken Begehrlichkeiten, sind aber am letzten Tag partout nicht Aufzutreiben. So erfahren wir auch nicht, ob derart massive Fleischbatzen die Flugsicherheit gefährden, unter Vogelgrippeverdacht fallen, verzollt werden müssten oder einen Platz in der heimischen Speisekammer gefunden hätten. Zwei Nächte bleiben wir, dann geht es früh morgens nach Gautharie und mit der Bahn über Biarritz, Bayonne zurück nach Pau.
Dem Billigflieger scheinen Teile an der Verkleidung zu fehlen, der Pilot landet mit hohem Tempo, zwingt das Geschoss hart auf die Landebahn und bremst energisch. Auf dem Flughafen patrouillieren Männer, die direkt einem 3D-Action-Game oder einer Dokumentation der Landshut-Entführung entsprungen sein könnten: Knopf im Ohr, riesiges Gewehr mit applizierter Taschenlampe, kugelsichere Weste. Die Nacht über auf hartem Boden bei Neonlicht Alpträume aus Putzfahrzeugen und verpassten boarding calls, dann, und damit endet der chronologisch aufgebaute Reisebericht in Schulaufsatz-Form, schließlich der letzte Abschnitt, STN nach LBC, thank you and bye bye.